Cover
Titel
Food in Medieval England. Diet and Nutrition


Herausgeber
Woolgar, Christopher M.; Serjeantson, Dale; Waldron, Tony
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 347 S.
Preis
€ 93,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Jörg, Universität Trier

Dem sich bereits seit längerer Zeit eines größeren Interesses der historischen Forschung erfreuenden Untersuchungsfeld der Grundlagen von Nahrung und Ernährung während der sogenannten vormodernen Jahrhunderte widmet sich der vorliegende Sammelband mit Blick auf das mittelalterliche England. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um einen Tagungsband im herkömmlichen Sinne, also nicht um eine aus einem einzelnen wissenschaftlichen Kongress hervorgegangene Zusammenstellung verschiedener Tagungsbeiträge. Vielmehr vereint das Werk siebzehn Aufsätze in sich, die aus den Treffen einer sich mit den Fragen mittelalterlicher Nahrungs- und Versorgungsstrukturen befassenden kleineren Forschergruppe – der sogenannten „Diet Group“ – am Somerville College zu Oxford während der vergangenen zehn Jahre hervorgegangen sind. Einige der Autoren haben dementsprechend auch mehrere Beiträge beigesteuert. Ein wesentliches Interesse der Gruppe bestand, wie die Herausgeber in ihrer kurzen Einleitung (S. 1-8) betonen, in der systematischen Berücksichtigung der Erkenntnismöglichkeiten, welche die Verknüpfungen historischer und archäologischer Disziplinen bei der Untersuchung des komplexen Themengebiets zu liefern im Stande sind.

Das Buch besteht aus zwei thematischen Hauptteilen. Bei dem umfangreicheren ersten Abschnitt (S. 11-188) handelt es sich um eine Sammlung von Beiträgen zu den unterschiedlichen Nahrungsmitteln (foodstuffs). Der zweite, deutlich kürzere Teil wendet sich im Anschluss stärker der Ernährung selbst zu, was etwa die Betrachtung unterschiedlicher Ernährungsmuster und -möglichkeiten innerhalb der Bevölkerung sowie die Auswirkungen von Konsum und Mangel in medizinischer, demografischer und kultureller Sicht beinhaltet (S. 191-266). Eine Vielzahl der in dem ersten Kapitel thematisierten Produkte – wie etwa Wild, Wildvögel und kostspieligere Fleischsorten – standen weiten Teilen der Bevölkerung ohnehin nicht oder nur in Ausnahmefällen zur Verfügung. Die weniger finanzstarken Haushalte blieben im Alltag in hohem Maße auf aus Getreide gewonnene Brot- und Breispeisen angewiesen.

Auch wenn man den zweiten Teil des Buches als methodisch anspruchsvoller charakterisieren mag, so entbehrt doch auch der mit „Survey of Foodstuffs“ betitelte und nicht nur aus diesem Grunde auf den ersten Blick zunächst etwas spröde wirkende erste Teil des Bandes bei näherer Betrachtung nicht eines erheblichen Reizes. Dies liegt zum einen in der Tatsache begründet, dass in mehreren Beiträgen die ohnehin kaum eindeutig festzulegenden Grenzen zwischen den beiden von den Herausgebern idealtypisch gegeneinander abgegrenzten Themenbereichen zerfließen. Zum anderen verknüpft mancher dieser elf Aufsätze eine nur als höchst gelungen zu charakterisierende Zusammenschau des jeweiligen Forschungsstandes mit zahlreichen Hinweisen auf bemerkenswerte Details im zur Verfügung stehenden Quellenmaterial. Beides gilt beispielsweise für den Beitrag aus der Feder Christopher Dyers zu der häufig in der einschlägigen Forschung vernachlässigten Bedeutung größerer und kleinerer Gärten für den täglichen Konsum (S. 27-40) oder den Artikel zum Verzehr von Fisch, den Dale Serjeantson und Christopher Woolgar beigesteuert haben (S. 102-130). Auch die weiteren Beiträge, die daneben Feldfrüchte und insbesondere die unterschiedlichen Getreidesorten, Rind-, Schweine- und Lammfleisch, Geflügel, Milchprodukte und Wildbret thematisieren, bieten in äußerst instruktiver Weise eine wertvolle Orientierung zu den allgemeinen Rahmenbedingungen des Nahrungsspektrums. Mehr als eine solche weiterführende Orientierung des Lesers kann angesichts der Kürze der einzelnen Artikel, die durchschnittlich etwa fünfzehn Seiten umfassen, auch kaum angestrebt bzw. verlangt werden.

Der zweite Teil des Bandes, der sich – wie zuvor bereits erwähnt – stärker verschiedenen Mustern der Ernährung zuwendet, beinhaltet sechs Beiträge. Eröffnet wird dieser Abschnitt durch eine kürzere und allgemeiner gehaltene Studie Christopher Woolgars zu Ernährungsgewohnheiten verschiedener Gemeinschaften und zu in diesem Zusammenhang zu beobachtenden sozialen Abstufungen innerhalb des Konsumverhaltens. Einen Sonderfall stellen in dieser Hinsicht Vorgaben zur Enthaltsamkeit dar, wie sie im Falle von Fastengeboten oder der erwünschten Zurückhaltung im Hinblick auf den Verzehr von Fleisch existierten (S. 191-200). Mit Blick auf die monastischen Regeln wird dieser Bereich in dem späteren Beitrag von Barbara Harvey nochmals aufgegriffen und unter Berücksichtigung des kulturellen Weiterwirkens thematisch vertieft (S. 215-227). Gewohnt informativ zeigen sich die Bemerkungen Christopher Dyers zu den saisonal gebundenen Mustern gewöhnlichen und gehobenen Konsums sowie auch des Mangels während des späten Mittelalters (S. 201-214), die allerdings in dem vorgegebenen Rahmen notwendigerweise stark überblicksartig ausfallen müssen. Für ausgiebigere Informationen kann jedoch in diesem Fall auf das über England hinaus bekannt gewordene Standardwerk Dyers zu dem weiteren Themenbereich zurückgegriffen werden.1 Innovative Möglichkeiten der Untersuchung mittelalterlicher Ernährungsgewohnheiten zeigt der Beitrag Gundula Müldners und Michael Richards zu der Analyse stabiler Isotope in menschlichen Knochen auf (S. 228-238). Die Auswirkungen der Ernährungsmöglichkeiten auf die Demografie und die mit diesem Forschungsgegenstand verbundenen Schwierigkeiten beleuchtet Phillipp Schofield in seiner Zusammenschau, die auch die Verbindung zu den Versorgungsengpässen, Hungersnöten und Epidemien während des späten Mittelalters herstellt (S. 239-253). Teilweise in Anknüpfung an die Frage nach den Folgen des Mangels beschäftigt sich der Beitrag Tony Waldrons mit der Ernährung und deren Folgen für das Wachstum anhand von Knochenfunden, die vorwiegend der an Versorgungskrisen reichen ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zuzuweisen sind (S. 254-266).

Abgeschlossen wird der inhaltliche Teil durch die pointiert und ausgewogen zusammenfassende Schlussbetrachtung der Herausgeber (S. 267-280). Als besonders erfreulich für die an der anglophonen Forschung zu dem Thema Interessierten dürfte sich die umfangreiche Bibliografie des Bandes erweisen, in welcher die in den Beiträgen zitierte Literatur zusammengeführt wird. Allerdings bestätigt eine Durchsicht derselben auch einen Eindruck, der sich bereits während der Lektüre der Aufsätze aufdrängt: Der Band ist durch eine sehr stark auf die englischsprachige Forschungslandschaft fokussierende Betrachtungsweise geprägt. Dies mag bei einem mit „Food in Medieval England“ betitelten Sammelband zunächst nicht weiter verwundern, doch hätte bei der Behandlung allgemein nachweisbarer Phänomene in manchem Beitrag sicherlich der eine oder andere vergleichende Blick auf den Kontinent und der breitere Einbezug der einschlägigen deutschen und französischen Forschung das ansonsten äußerst zufriedenstellende Gesamtbild noch weiter abgerundet. So mag es deutsche und französische Leser beispielsweise verwundern, dass man in der Bibliografie nach den sich mit der Ernährung, den Konsumgewohnheiten und Versorgungskrisen beschäftigenden Forschungen von Wilhelm Abel, Jean Meuvret, Françoise Desportes oder Ulf Dirlmeier – um nur einige zu nennen – vergeblich sucht.

Insgesamt überwiegen aber deutlich die positiven Eindrücke. Die durchweg instruktiven Beiträge, die zudem häufig mit einer Vielzahl von Illustrationen und größtenteils überzeugend umgesetzten grafischen Darstellungen aufwarten, bieten aus verschiedenen Perspektiven wertvolle Einblicke in die Strukturen der Ernährung im mittelalterlichen England. Auch wenn aufgrund der Quellenlage das späte Mittelalter häufig dominiert, werden die früheren Jahrhunderte keineswegs vernachlässigt. Zudem regen der Band und die in diesem präsentierten Befunde zu weiteren Vertiefungen entsprechender Forschungsaktivitäten an, was etwa für die in einzelnen Aufsätzen notwendigerweise nur am Rande thematisierten Fragen nach der Zubereitung, Haltbarkeit und Konservierung bestimmter Speisen gilt. Für die zukünftige Untersuchung solcher und weiterer Schwerpunkte liefert der Band mit Konzentration auf das mittelalterliche England auf hohem Niveau eine äußerst solide Ausgangsbasis.

Anmerkung:
1 Dyer, Christopher C., Standards of Living in the Later Middle Ages: Social Change in England c.1200-1520, 2. Aufl. Cambridge Univers. Press 1998.

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